Jitsi

Jitsi (französische Schreibweise für das bulgarische жици schiziDrähte“, Aussprache ['ʒitsi]) ist eine Sammlung freier Software für IP-Telefonie (VoIP), Videokonferenzen und Instant Messaging. Der Ursprung war ein Java-basierter Messenger-Client für XMPP und weitere Protokolle, jetzt Jitsi Desktop genannt. Inzwischen gibt es mit Jitsi Meet eine Software für Videokonferenzen, die im Webbrowser, als mobile App und als Electron-basierte Desktopanwendung für Windows, MacOS und Linux genutzt werden kann.[1]

Durch die COVID-19-Pandemie gewann Jitsi Meet viele neue Nutzer in Schulen, Bildungseinrichtungen, der Verwaltung und in Unternehmen, nicht zuletzt wegen der einfachen Bedienbarkeit ohne Installation auf dem Desktop-Computer und der Datensparsamkeit bei der Anmeldung.

Geschichte

Die Entwicklung von Jitsi, damals noch „SIP Communicator“ (SIP ist ein Akronym für Session Initiation Protocol), wurde 2003 von dem gebürtigen Bulgaren Emil Iwow als Masterarbeit seines Informatik-Studiums an der Universität Straßburg begonnen.[2] Ende 2006 war das Projekt so weit fortgeschritten, dass eine erste Alpha-Version veröffentlicht werden konnte. Eine erste grafische Benutzeroberfläche war vorhanden, die wichtigsten Protokolle bereits implementiert und alle gängigen Betriebssysteme (Windows, Linux und macOS) wurden unterstützt. Jitsi ist in Java implementiert und somit auf allen Plattformen mit einer Java-Laufzeitumgebung nutzbar.

Im November 2007 erschien die zweite Alpha-Version, die schon wesentlich mehr Funktionalität bot. Neben der Einbindung weiterer Protokolle wurde auch stark auf dem OSGi-Framework aufgesetzt, das für neue Entwickler sehr einstiegsfreundlich ist. Durch Neuerungen wie Benutzer-Avatare oder erweiterte Verlaufs-Funktionalität wurde auch der Komfort erhöht.

Die Zahl der Entwickler, die an dem Open-Source-Projekt mitarbeiteten, stieg drastisch an. Dadurch konnte die dritte Alpha-Version bereits im Februar 2008 erscheinen. Der Schwerpunkt wurde jetzt auf Konferenz-Chats und Internationalisierung (Einbindung der bekanntesten Sprachen) gelegt.

2009 gründete Emil Iwow zusammen mit seiner Studienkollegin Jana Stamtschewa das Unternehmen Blue Jimp, um Beratungsleistungen für Jitsi anzubieten und die Weiterentwicklung sicherzustellen.[2]

SIP-Communicator beziehungsweise Jitsi ist seit 2009[3] Teilnehmer beim Google Summer of Code (GSoC). Ein beträchtlicher Teil der Jitsi-Codebasis wurde von GSoC-Teilnehmern beigesteuert.

2011 wurde das Projekt in Jitsi umbenannt, da es sich nach der dazugekommenen Unterstützung von Audio- und Video-Gesprächen nicht mehr nur um ein SIP-Softphone, sondern um einen Instant Messenger mit Audio- und Videotelefoniefunktion handelt.[4] Nightly Builds wurden im März 2011 zu Beta-Versionen erkoren. Seit diesem Jahr unterstützt Jitsi auch den Audio-Codec SILK.

Beim Vergleich von Jitsi mit Skype, Ekiga, Empathy und NullTeam Yate q14 durch die Zeitschrift Chip Linux im März 2014 war Jitsi Testsieger mit 5 von 5 Punkten.[5]

2015 wechselte das Projekt von der LGPL- zur Apache-Lizenz, um die Hürden bei der Integration von Jitsi in andere Software zu senken;[6] seit 2015 kann Jitsi auch als JavaScript Library direkt im Browser ohne Softwareinstallation ausgeführt werden, einstweilen für Chrome, Opera und Mozilla Firefox (ab Version 40).[7] Mit der Jitsi Videobridge können Konferenzräume realisiert werden, die mit geringen Server-Ressourcen auskommen und sparsam mit der Bandbreite sind. Ein solcher Service wird von den Jitsi-Entwicklern auch selbst angeboten. Außerdem wird 2015 die Firma Blue Jimp von Atlassian gekauft.[8]

2018 übernimmt die Firma 8x8 das Entwicklerteam und die Markenrechte von Atlassian, um Jitsi in ihre eigenen Produkte zu integrieren.

Mitte 2020 nutzten ca. zehn Millionen Personen die Plattform.

Jitsi Meet

Jitsi Meet ist eine WebRTC-basierende Software für Videokonferenzen. Der gesamte Jitsi-Softwarestack wird über den XMPP-Server Prosody verwaltet.[12] Jitsi Meet ist eine Serversoftware, die für die Nutzer den Client als Webapplikation bereitstellt, während die Jitsi Videobridge die Server-Komponente bildet[13]. Jitsi Videobridge verteilt basierend auf der SFU-Technologie die gerade aktiven Videostreams an alle Teilnehmer[14]. Das hat den Vorteil von vergleichsweise geringem CPU-Bedarf auf Serverseite, kann jedoch im Vergleich zur Zusammenfassung aller Videoströme mittels des MCU-Ansatzes eine bessere Internetverbindung und/oder höhere CPU-Last auf Clientseite benötigen[15]. Die maximale Teilnehmerzahl einer Konferenz hängt von der jeweiligen Installation ab. Bei großen Installationen werden in einer Konferenz bis zu 75 Teilnehmer unterstützt[16]. Die Gesamtanzahl an Teilnehmern einer Installation hängt von der Anzahl der Videobridges ab. Es werden Installationen für mindestens 5000 gleichzeitige Teilnehmer betrieben.[17]

Jitsi Meet kann im Webbrowser, als mobile App für Android und iOS und als Electron-basierte Desktopanwendung für Windows, MacOS und Linux benutzt werden.

Grundsätzlich werden Videokonferenzräume über eine eindeutige URL definiert und es wird kein Benutzerkonto benötigt. Teilnehmer können optional einen frei wählbaren Namen setzen. Jeder Teilnehmer kann einen Videokonferenzraum eröffnen und andere einladen. Da so keine personenbezogenen Daten erfasst werden müssen, kann Jitsi anonym genutzt werden.

Dennoch können Moderationsrechte vergeben werden: Räume können mit einem Passwort geschützt oder Teilnehmer nur auf Nachfrage zugelassen (Lobbymodus) werden. In einer laufenden Konferenz können einzelne Teilnehmer stumm geschaltet oder ganz entfernt werden. Moderationsrechte werden grundsätzlich dem ersten Teilnehmer übergeben der die Konferenz betritt. Es ist aber administrativ möglich, dass nur authentifizierte Benutzer[18] neue Konferenzräume erstellen können.[19] Diese haben dann auch die alleinigen Moderationsrechte.

Nutzt man Jitsi Meet über die Infrastruktur der Firma 8x8, muss zumindest der Moderator eines Videokonferenzraums sich gegenüber der Plattform autorisieren (Google, Facebook oder GitHub Account).

Jitsi Meet bietet folgende zusätzliche Funktionen:[20]

  • Screen-Sharing mit Sprecher-in-Bild-Darstellung
  • Chat
  • Statistik über Sprechzeit während der Konferenz
  • Teilnehmer können sich per „Handzeichen“ melden
  • Live-Streaming[21] der Konferenz zu YouTube oder PeerTube[22]
  • Hintergrund verschwommen darstellen (Blur-Effekt, erfordert leistungsfähiges Endgerät)
  • Je nach Anforderung kann Jitsi Meet mit weiteren Serverdiensten erweitert werden:
    • Aufnahmen von Konferenzen (erfordert Jibri Server[23])
    • Eine Telefon-Einwahl ist per SIP und dem Dienst Jigasi möglich[24]
    • Mit einem integrierten Etherpad können gemeinsam Dokumente bearbeitet werden

Jitsi Desktop

Jitsi Desktop ist im Gegensatz zur Webanwendung Jitsi Meet eine Anwendungssoftware, die auf einem Desktop-Computer installiert werden muss. Die Software unterstützt in allen Protokollen Präsenz- und Sofortnachrichten. In den meisten Fällen ist auch Dateiübertragung möglich. (Video-)Telefonie ist derzeit mit SIP und Jingle möglich. Die Unterstützung der Google-Variante von Jingle (Google Talk) ermöglicht auch Verbindungen von einem Gmail-Konto zu Android-Geräten. Darüber hinaus bietet Jitsi Desktop folgende Merkmale:

  • Verschlüsselte Kommunikation mit OTR für die Sofortnachrichten und ZRTP für Bild und Ton
  • Desktop-Sharing – Freigabe des eigenen Bildschirmes zur Ansicht und zur Bedienung durch die andere Seite, „Fernsteuerung“ genannt
  • Audiokonferenzen ohne weitere Infrastruktur
  • Konfiguration aus der Ferne (Provisioning)
  • Direktverbindungen für die Mediendaten P2P über Interactive Connectivity Establishment und Universal Plug and Play (UPnP). Um hartnäckige NAT-Konfigurationen zu beherrschen, stellt Jitsi Möglichkeiten zum Routen der RTP-Pakete in Form von JingleNodes und TURN zur Verfügung.
  • Volle IPv6-Protokoll-Unterstützung

Unterstützte Protokolle

Jitsi Desktop unterstützt alle gängigen Protokolle bekannter Instant Messenger.[29] Teilweise befindet sich die Implementierung der Protokolle allerdings noch in der Entwicklung und liefert nicht immer die gewünschten Ergebnisse. Zu den bereits implementierten Protokollen gehören:

Präsenz, Sofortnachrichten und (Video)-Telefonie
  • SIP – Audio und Video
  • XMPP einschließlich der Erweiterung Jingle für Audio und Video
Präsenz- und Sofortnachrichten

Zahlreiche Audio- und Videocodecs werden unterstützt:

Nutzung

Im Zuge der Schulschließungen aufgrund der COVID-19-Pandemie gewann Jitsi Meet 2020 viele neue Nutzer durch Online-Unterricht, da es ohne Anmeldung und ohne Installation auf dem Desktop-Computer verwendet werden kann. Deshalb wurde es von vielen Plattformen für den Online-Unterricht empfohlen.[33]

Zahlreiche Unternehmen, Bildungseinrichtungen, wie das Leibniz-Rechenzentrum,[34] oder Behörden wie Dataport[35] betreiben „Jitsi Meet“-Instanzen zugänglich für authentifizierte Mitglieder. Andere Initiativen, Vereine oder Bildungseinrichtungen betreiben offene und kostenlose „Jitsi Meet“-Instanzen zur freien Nutzung, darunter der Verein fairkom,[36] die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main[37], die Universität Hamburg[38] sowie 8×8 selbst.[39] Von der Nutzung der Instanz des Jitsi-Meet-Herstellers rät der Verein Digitalcourage allerdings ab, weil sie nicht trackerfrei ist und Daten in die USA abfließen.[40] Zudem lassen sich hier seit dem 24. August 2023 keine anonymen Videokonferenzen mehr erstellen; eine Anmeldung über Google, GitHub oder Facebook ist notwendig.[41][42]

Siehe auch

Weblinks

Commons: Jitsi – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. jitsi-meet-electron. In: GitHub. Abgerufen am 21. April 2020 (englisch).
  2. a b Mirjam Hauck: Jitsi-Meet-Erfinder Emil Ivov: „Profile erstellen macht Mühe“. In: Süddeutsche Zeitung. 3. März 2021, abgerufen am 29. November 2021 (Interview).
  3. google-melange.com - Google Summer of Code 2009 SIP Communicator
  4. Martin Loschwitz: Spezialfunktionen des VoIP-Clients Jitsi. In: Linux-Magazin 2013/07. Abgerufen am 24. März 2022 (deutsch).
  5. Testbericht über 5 VoIP-Clients für Linux in CHIP Linux 3/2014. In: testberichte.de. Abgerufen am 15. Juli 2015.
  6. Emil Ivov: [jitsi-dev] Switching to the Apache Licenses. 18. Juni 2015, archiviert vom Original am 22. Juni 2015; abgerufen am 20. März 2024 (englisch).
  7. Kristian Kißling: Videokonferenzen mit Firefox und Jitsi. In: Linux-Magazin. 5. Juni 2015, abgerufen am 15. Juli 2015.
  8. Leon Spencer: Atlassian acquires video conferencing company Blue Jimp. In: ZDNet. Abgerufen am 24. März 2022 (englisch).
  9. jitsi-meet-release-notes/CHANGELOG-MOBILE-APPS.md at master · jitsi/jitsi-meet-release-notes · GitHub. Abgerufen am 30. Dezember 2023.
  10. download.jitsi.org
  11. jitsi.org
  12. jitsi.github.io/handbook/ - Architecture
  13. Jitsi Videobridge Readme. In: Github. Abgerufen am 12. Januar 2020.
  14. jitsi.org Jitsi Videobridge
  15. Marcus Richter, Lukas Schauer u. a.: Videokonferenzen ohne Cloud. In: Chaosradio Podcast. Chaos Computer Club, 27. Juni 2020, abgerufen am 12. Januar 2021.
  16. jitsi.org - Maximum number of participants on a meeting on meet.jit.si server
  17. Tobias McFadden: Distanzunterricht mit der Videoplattform Freifunk MEET. Stadtverwaltung München, 10. Februar 2021, abgerufen am 11. Februar 2021.
  18. jitsi.github.io/handbook - Authentication
  19. Secure Domain setup
  20. FAQ – Jitsi Meet. Abgerufen am 26. April 2020 (amerikanisches Englisch).
  21. github.com/jitsi/jibri
  22. github issue zu Streaming mit Peertube. Abgerufen am 4. Januar 2021 (amerikanisches Englisch).
  23. Jibri
  24. Jigasi
  25. Emil Ivov. In: GitHub. Abgerufen am 7. Februar 2017 (englisch).
  26. Team And Contributors. In: jitsi.org. Abgerufen am 7. Februar 2017 (englisch).
  27. Release Jitsi 2.10.5550 · jitsi/jitsi · GitHub. Abgerufen am 14. Oktober 2021.
  28. The jitsi Open Source Project on Open Hub: Languages Page. In: Open Hub. (abgerufen am 19. Juli 2018).
  29. Jitsi Features. Abgerufen am 23. März 2014 (englisch).
  30. Opus and CELT support in Jitsi. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 20. Mai 2012; abgerufen am 30. Januar 2014 (englisch)., Roadmap. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 27. Oktober 2012; abgerufen am 30. Januar 2014 (englisch).
  31. reference.conf. In: github.com. Abgerufen am 24. November 2021.
  32. reference.conf. In: github.com. Abgerufen am 24. November 2021.
  33. POE: Zoom, Jitsi, Big Blue Button, Skype – Videokonferenzen in Zeiten von Schulschließungen und Coronavirus. In: Unterrichten Digital – iPad in der Schule. 19. März 2020, abgerufen am 6. Mai 2020 (deutsch).
  34. doku.lrz.de – Videokonferenzservice (WebRTC)
  35. dataport.de – Schritt für Schritt hin zu mehr Open Source
  36. fairmeeting
  37. meet.studiumdigitale.uni-frankfurt.de
  38. meet.physnet.uni-hamburg.de
  39. meet.jit.si
  40. digitalcourage.de – Videokonferenzen müssen keine Datenschleudern sein.
  41. jitsi.org – Authentication on meet.jit.si.
  42. golem.de – Jitsi Meet fordert Anmeldung.